Friederike Krepela

// creative concept & art direction

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Einzelwerke der interaktiven Ausstellung Zeit ist Held

Insgesamt neun Exponate fügen sich inhaltlich in drei Abschnitte ein: Zeitstrukturen, Zeitempfindung und Zeitgestaltung. Verbindende Unterthemen und Überschneidungen erzeugen einen fließenden Übergang zwischen den drei Abschnitten.




Zeitstrukturen - natürlich und kulturell

»Die Götter mögen den Mann verwünschen, der zuerst herausfand wie sich die Stunden unterscheiden lassen. Mir zu schneiden und zu zerhacken scheußlich meine Tage in kleine Fetzen.«
– Titus Maccius Plautus

Wiederkehrende Erscheinungen wie Tag und Nacht, Ebbe und Flut oder auch die Jahreszeiten ermöglichten dem Menschen, sich in der Zeit zu orten. Kulturen und Institutionen errichteten langsam ein Netz aus Kalendern und Plänen, sodass diese selbst errichteten Strukturen heutzutage die Zwänge unserer persönlichen Zeitempfindung bilden. Versuche, dem ungreifbaren Begriff »Zeit« eine Form zu geben, ließen individuelle Zeitkonzepte entstehen, die ganze Kulturräume prägen.



Laternenanzünder – Unendliche Sonnenuntergänge

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Die niemals stillstehende Sonne zieht Tag und Nacht wie einen Vorhang über unsere Welt. Seit jeher richtet der Mensch sein Leben an den natürlichen, periodischen Phäno-menen aus, um seine Zeit zu strukturieren. Heutzutage sind die Veränderungen in der Natur nur mehr ein geringer Teil persönlicher Zeitempfindung.
Das Webcam-Panorama visualisiert das Bestreben der Menschheit, eine globale Gleichzeitigkeit zu erreichen.
In Echtzeit wird hier die gesamte Welt auf einen Blick präsentiert. Tages- und Nachtzeiten existieren nebeneinander und können interaktiv im Zeitraffer gesteuert werden.

Mit zwei HD Beamern wird das Webcam-Panorama auf eine fünf Meter breite Leinwand projiziert. Links und rechts der Leinwand hängen Spiegel, um das Panorama ins unendliche weiter zu verlängern. Vor der Leinwand steht ein rundes Terminal, an dem ein Zeiger ange- bracht ist, mit welchem sich das Panorama steuern lässt.



Zeitbilder – Das Zeitverständnis im Wandel

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Die Zeit begleitet unaufhaltsam unser Leben. Um dem ungreifbaren und unsichtbaren Gefährten eine Kontur zu geben und ein Verständnis hierfür zu erlangen, entstanden verschiedene Vorstellungen vom Ablauf der Zeit: zyklisch wiederkehrend, linear einem Ende zulaufend und wie Atome zerteilt.
Das Zeitverständnis veränderte sich mit den kulturellen und technologischen Entwick-lungen der Menschheitsgeschichte. Trotz dieser Chronologie folgen sie dennoch nicht strikt aufeinander, sondern bestehen ebenfalls zeitgleich. Da individuelle und kulturelle Faktoren unser Verständnis der Zeit prägen, existiert kein globales Zeitkonzept.

Im Überdruckverfahren wurden Ausdrucke mit Lösungsmittel und sehr viel Druck auf
300 x 75 cm große Stoffbahnen übertragen. Anschließend wurden weitere Elemente appliziert: eine Baumscheibe bei zyklischer Zeit, eine Buchbildung und ein Lesezeichen bei linearer Zeit und Kabel bei atomisierter Zeit.



Zug der Zeit – Zug um Zug zur synchronisierten Zeit

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Vor dem Aufkommen der Eisenbahn im 19. Jahrhundert galt an einem Ort die jeweils lokale Echtzeit. Erst mit einer Zunahme der Mobilität und vor allem durch die überregio-nalen Zugverbindungen wurde eine weltweit einheitliche Uhrzeit definiert. Heute gilt
die UTC (Universal Time Coordinated) als Weltzeit. Ihr Nullmeridian geht durch den englischen Ort Greenwich, der heutzutage Ausgangspunkt aller Zeitzonen der Erde ist.
Der Zug der Zeit greift modellhaft die durch den menschlichen Fortschritt bedingte Synchronisation der Zeit auf. Versteckt bildet er den Mechanismus, der ein globales Miteinander erst ermöglichte.

Die drei voneinander unabhängigen Schienenkreise (Stromversorgung über Standard Trafo) mit jeweils einer Lok (Märklin, H0) werden zentral, aber unabhängig voneinander, von einem Microcontroller (Arduino UNO R3) gesteuert. Ein Uhrmodul am Arduino gibt die Uhrzeit für Stunden und Minuten vor, Sekunden werden über das Zählen von Milli-sekunden am Arduino selbst errechnet. Die in den Schienen auf der Null-Uhr-Position platzierten Lichtsensoren helfen bei der Korrektur von Abweichungen der Uhrzeit von Stunden- bzw. Minutenzeiger. Ein eigenes Interface erleichtert das Nachstellen der Fahrdistanz der Loks pro Zeigerbewegung und das Wechseln verschiedener Modi.






Zeitempfindung - spürbar und erlebbar

»Was ist das für eine Regel? Je mehr zeitsparende Maschinen es gibt, desto mehr steht der Mensch unter Zeitdruck.«
– Sebastian de Grazia

Die kulturellen Strukturen und Zwänge fördern in Verbindung mit der heutigen Gesellschaft aktuelle Themen wie Stress, das Gefühl der Unaufhaltsamkeit der Zeit, Monotonie im Leben oder das ständige Aufschieben von Aufgaben.
Mit geteilter Aufmerksamkeit eilen wir gehetzt durch das Projekt »Leben« und passen uns dabei der Geschwindigkeit unseres Umfeldes an.



Stimmen zur Zeit – Experten, Beobachter und Medien sprechen über die Zeit

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Gespräche, Geschichten und persönliche Gedanken berichten über den Charakter der Zeit. Sogar Google äußerst sich aus Sicht eines Knotenpunktes der digitalen Medien.
Gleichzeitig wird mit dem Werk die Möglichkeit des Verweilens geboten – BesucherInnen sollen das Werk für ein Experiment nutzen: Können sie sich in Ruhe auf die Stimmen konzentrieren? Denn ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, scheint in unserer parallelisierten Welt eine fast verloren gegangene Eigenschaft zu sein. Monotasking
statt Multitasking – Überwindung der aufgezwungenen Gleichzeitigkeit.

Im Haupthocker wurde ein Computer in seinen Einzelteilen eingebaut, der das Abspielen der Audiobeiträge steuert. Das Auslösen der Taster in den Hockern wurde über Arduino abgefragt und an den Computer übermittelt. Mit einem VVVV Patch konnten zwei PCI Soundkarten angesprochen und die einzelnen Beiträge auf alle fünf Hocker verteilt werden.



Lebenstempo – Dein Lebenstempo im Vergleich zu anderen Ländern

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Die Geschwindigkeit, in welcher wir unseren Alltag und das Leben durchwandern, ist von Kultur und Geografie bestimmt. Laut dem amerikanischen Psychologen Robert Levine, wird das Lebenstempo durch je fünf zentrale Faktoren maßgeblich beeinflusst: Klima, Ökonomie, Industrialisierung, Population und kulturelle Werte.
Das generative Werk bietet die Möglichkeit, das eigene Lebenstempo auf abstrakte Weise anderen Ländern gegenüberzustellen. Im zentralen Blickfeld befinden sich die BetrachterInnen, die umgeben von der Visualisierung des ausgewählten Landes sind.
Je höher die Übereinstimmung des Lebenstempos von BesucherIn und Land ist, desto mehr verschwimmen die Grenzen.

Das Projekt besteht aus einem TV-Flatscreen, Hochleistungscomputer, Verbau, Steuer-pult, Arduino, Potentiometer mit Drehreglern, Licht und einem Folienplott. Programmiert wurde mit FlashBuilder in der Programmiersprache ActionScript 3. Das Programm besteht aus über 40.000 Zeilen Code und verwendet diverse Open-Source Bibliotheken. Das wichtigste ist hierbei das FLiNT-ParticleSystem, welches das Verhalten der Punkte auf dem Bildschirm bestimmt.


Leben im Ladebalken – Stillstand im Rad der Ruhelosigkeit

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Die Wartetoleranz unserer beschleunigten Gesellschaft ist gegen null gesunken. Doch selbst im digitalen Alltag begleiten uns Warteprozesse – einem Ort der Schnelligkeit, an welchem kein Platz für verlorene Sekunden bleibt.
Leben im Ladebalken greift das Wartesymbol des Apple-Betriebssystems auf, das erst aus der Ferne ersichtlich wird. Den einzelnen Pixeln werden jeweils ein Arbeitsprozess des Computers und die hierfür in Anspruch genommene Zeit zugewiesen. Aus der Nähe erkennt man die 312 Wartesituationen, die vom digitalen Raum auf 312 Karton-Pixel in die reale Ausstellung übertragen wurden.

In einem Selbstexperiment wurden 10 StudentInnen dazu aufgerufen, das Warten am Computer bewusst zu erleben. Das Wartesymbol des Apple-Betriebssystem wurde auf zwei 2x2 m skaliert. Die daraus resultierenden 312 vergrößerten Pixel dienten als Dokumentationsblätter der einzelnen Wartesituationen. Die Dokumentation geschah stets nach demselben Schema: Pro Pixel musste das verwendete Programm, der Wartegrund sowie die Wartedauer notiert werden. Im Zeitraum von nur einer Woche mussten so alle TeilnehmerInnen jeweils ca. 30 Pixel beschriften.






Zeitgestaltung - bewusst und formend

»Der größte Erfolg des Zeitgeistes: Alle haben Uhren – niemand hat Zeit.«
– Ernst Ferstl

Die Strukturierung der persönlichen Zeit liegt in großen Teilen in unserer Eigenverantwortung. Jedoch bedeutet es nicht nur Freiheit, sondern bedingt ein Bewusstsein für einen sinnvollen Einsatz. Unser Verhältnis zur Zeit wird von der Gesellschaft immer wieder hinterfragt und zeichnet unseren eigenen Charakter.
Wie gestalten wir den einzelnen Tag, eine Woche, ein Jahr oder einen ganzen Lebensabschnitt?



Eilkrankheit – Zeitdruck als Lebenseinstellung

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Zeitliche Strukturen und gesellschaftliche Zwänge fördern aktuelle Themen wie Stress und das Gefühl der Unaufhaltsamkeit der Zeit. Den richtigen Umgang mit den uns auf-erlegten Zeitstrukturen zu finden, scheint eine der erstrebenswertesten Fähigkeiten der Gegenwart zu sein. Laut den Psychologen Diane Ulmer und Leonhard Schwartzburd birgt die Diagnose der Eilkrankheit ernst zu nehmende Gefahren, vor allem für das
Herz-Kreislauf-System. Soziale Beziehungen sowie das Selbstwertgefühl werden bei
den betroffenen Personen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.
Das Protokoll zur Aufnahme des Zeitverhaltens gibt die Möglichkeit das persönliche Verhältnis zur Zeit festzustellen. Mit Stempel und Unterschrift werden die eigenen Aussagen zu rechtsgültigen Einsichten.

Auf einem Tisch liegen vier gleiche Blöcke mit Durchschlag zum Ausfüllen bereit.
Nach dem Ausfüllen kann das Formular noch unterschrieben und mit einem eigens angefertigten Stempel abgestempelt werden. Das Original darf mitgenommen werden, der Durchschlag kann auf die vorgesehenen Clips gehängt werden.



Weltsekunde – Das Weltgeschehen im Sekundentakt

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Eine einzige Sekunde – ein scheinbar unwichtiger Bruchteil der Zeit, der dennoch bedeutende Auswirkungen hat. Überfüllt mit Ereignissen begründet jede Sekunde die Geschichte unserer Welt.
Vier Flipbooks bieten die Möglichkeit, die Fakten einer Art globalen Momentaufnahme
zu erkunden. Den Informationen gleich, flippen die Seiten vor dem Auge vorbei. Über ein Frage-Antwort-Spiel zu Umwelt, Internet, Technologie und Mensch, wird das Vorstell-ungsvermögen auf die Probe gestellt.

Dieses analoge Werk besteht aus vier selbst konstruierten Flipbooks im Querformat 24:7. Intensive Recherchen und Piktogramm-Illustrationen dienen dem Werk als Grundlage. Ausgedruckt auf ungefähr 3,5 m wurden die Papierbögen anschließend gefaltet und geklebt. Befestigt auf einer Tischkonstruktion, können die BesucherInnen im Sekunden-takt durch die Bücher flippen.

Dieses einst analoge Werk musste für die Ausstellung im Ars Electronica Center in
eine digitale Form gebracht werden, um den hohen Besucherzahlen und der langen Ausstellungsdauer standhalten zu können. BesucherInnen können nun auf Tablet-PCs via Touchscreen durch die Flipbooks blättern.


Momente und Erdbeeren – Jeder Moment ist kostbar

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Ein Mönch geht eines Tages auf einem Hochplateau spazieren. Plötzlich hört er in einiger Entfernung hinter sich einen gefährlich fauchenden Tiger, der auf ihn zukommt. Um dem Tier zu entkommen, läuft er, so schnell er kann, rennt aber geradewegs auf einen Abgrund zu. In seiner Not drückt sich der Mann an den äußersten Rand und kommt dabei ins Rutschen. Im letzten Moment kann er sich noch an einer Wurzel festhalten. Doch über ihm der Tiger, unter ihm der Abgrund, es gibt kein Entkommen.
Da erblickt der Mann direkt vor seinen Augen eine wilde Erdbeere. Er pflückt sie, nimmt sie in seinen Mund und murmelt: »Wie köstlich, diese Erdbeere.«

Wenn man im Augenblick lebt, sind Vergangenheit und Zukunft unbedeutend.

Die fünf Werke zeigen die persönliche Suche nach einem Erdbeermoment. Die visuelle Arbeit wird auditiv und mit einem Beschreibungstext begleitet, um innerhalb der Ausstellung noch tiefer in den Moment eintauchen zu können.
Im Ausstellungsformat 24 : 7 wurde von jedem Gestalter eine Fläche von 30 x 120 cm als Einzelwerk oder Bilderserie gestaltet. Die an MP3-Player angeschlossenen Kopfhörer und Beschreibungstexte wurden vor den gedruckten Werken platziert, um eine klare Zuordnung von Werk, Ton und Text zu gewährleisten.